Sie wollen eine neue Stadt: Neubaupläne in Hamburg Oberbillwerder, im Nordwesten Frankfurts und anderswo vor dem Bürgerentscheid zu Freiburg-Dietenbach

Foto Oberbillwerder

Auf diesen Wiesen in Hamburg Oberbillwerder soll ein kompletter neuer Stadtteil gebaut werden.

Zum dritten Mal seit Erscheinen von „Verbietet das Bauen!“ 2015 komme ich zu einem Vortrag nach Freiburg, doch diesmal ist etwas anders – ging es beim letzten Mal noch um die Rettung des Mooswalds, in einer Veranstaltung mit über hundert aufgebrachten Menschen, von denen über zwanzig ihrem Ärger Luft machten, spielen die aktuellen Neubaupläne in einer anderen Dimension: Ein völlig neuer Stadtteil mit etwa 6.000 Wohnungen für 15.000 Menschen ist geplant. Er gehört zu mehreren aktuellen Planungen auf der „grünen Wiese“ vor den Städten wie Hamburg Oberbillwerder oder Frankfurts Nordwesten (siehe Liste mit den 10 größten Neubauprojekten unten), gigantische Neubaupläne, wie wir sie seit den 1960er und 1970er Jahren nicht erlebt haben.

Damals entstanden Großsiedlungen wie Hamburg Steilshoop, Frankfurt Nordweststadt, München Neuperlach und in Berlin Marzahn / Hellersdorf im Osten (bis in die 1980er Jahre hinein) und das Märkische Viertel im Westen. Diese Liste soll kein Schreckenskabinett darstellen, denn wir haben in Deutschland nicht die Fehler von Großbritannien oder Frankreich gemacht, die Vorstädte weitgehend sich selbst zu überlassen, was dann zu Unruhen vor allem von Jugendlichen beitrug, die sich seit den 1980er Jahren alle paar Jahre wiederholen. Anders als bei den französischen „banlieues“ kam hierzulande sehr schnell die Erkenntnis, dass bei den großen Plänen etwas mächtig schiefgegangen ist.

Beispielsweise wurde im Märkischen Viertel bereits in den 1980er Jahren manches nachgebessert, etwa mit neuen und freundlicheren Eingängen an manchen der großen Bauten. Inzwischen ist es ein grüner Stadtteil mit vielen Qualitäten, doch die ständige Nachbesserung hat ihren Preis – die Modernisierung des Viertels in den vergangenen Jahren kostete über fünfhundert Millionen Euro, die nicht nur in bessere Wärmedämmung und moderne Bäder flossen, sondern auch in nochmal gründlich überarbeitete Erdgeschosszonen, weg mit alten Angsträumen, her mit hellen geschützten Eingängen. Nun rühmt sich das Märkische Viertel, es sei Deutschlands größte Niedrigenergiesiedlung, und in meinem ehemaligen Verlag initiierte und begleitete ich eine Reihe von einem Dutzend handlichen Publikationen zu den einzelnen Wohnhausgruppen; abschließend erschien nun ein Überblicksband.

Covercollage

Publikationen zum Märkischen Viertel, die ich bei meinem ehemaligen Verlag betreute.

Die hohen Investitionen in diese und andere Großsiedlungen waren auch deswegen nötig, um allen Bewohnern zu signalisieren, dass es sich dort heute und zukünftig zu leben lohnt. Die Geschichte dieser großen Neubaustadtteile ist also einigermaßen gut ausgegangen, könnte man zusammenfassend sagen, doch um den Preis von viel Mühe, Zeit und Geld, und das alles wird weiterhin nötig sein. Bei den aktuellen Plänen für komplette Neubaustadtviertel bemüht man sich als Lehre aus dieser schwierigen Entwicklung, alte Fehler nicht zu wiederholen, und alles wird etwas netter, die Häuser etwas kleiner, die Straßen etwas freundlicher. Andererseits will man es nicht zu klein und zu „nett“, sondern lebendige städtische Räume schaffen, und wie man in jeder Stadt in jedem Stadtviertel sehen kann, ist das ein beinahe magisches Werk und wir wissen allen Forschungen zum Trotz nicht sicher, wie eine lebendige Stadt entsteht oder wieviel Zeit sie benötigt, um zusammenzuwachsen.

Das sicherste wäre darum, auf all diejenigen lebendigen Städte zu setzen, die wir bereits haben, auf unsere gewachsenen Städte – sie sind schon gebaut. Auch in den boomenden Großstädten gibt es dort viel Platz, der sich besser nutzen ließe, mit weitaus weniger Risiko als einer neu erfundenen Kunststadt. Was man tun kann, erläutert beispielhaft die Webseite des RegioBündnisses in Freiburg, das die Äcker und Wiesen von Dietenbach retten will: Leerstand beseitigen, Dachgeschosse ausbauen und aufstocken, Parkplätze und Supermärkte überbauen, Umzugsmanagement aufbauen, Abriss verhindern, all das und vieles mehr zeigt die Bürgerinitiative in einer faktenreichen Liste.

Top 10 Neubaupläne Liste

Doch diese Fakten und Zahlen scheinen wenig zu zählen, und fast alle Fraktionen im Stadtrat sind für den Neubau eines riesigen Stadtteils für 15.000 Menschen. Aus dieser Haltung spricht der gleiche naive Glaube an die Machbarkeit und Planbarkeit, der bereits in den 1960er Jahren zu den Großsiedlungen führte, nur leicht korrigiert um ein bisschen mehr Vorsicht in den Details. Welche Details man diesmal falsch anlegt, so dass vielleicht nicht das gleiche, aber diesmal etwas anderes in großem Maßstab schiefgeht, wird man erst zehn oder zwanzig Jahre später sagen können. Nehmen wir das Freiburger Rieselfeld, sicher eine der besten Neubau-Stadtplanungen der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland, entstanden seit den 1990er Jahren mit inzwischen an die zehntausend Bewohnern. Dort wurden viele Sozialwohnungen gebaut – aber in unserem absurden deutschen System der befristeten Sozialbindung laufen diese nach meist fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren aus. Inzwischen gibt es im Rieselfeld nur noch um die fünf Prozent Sozialwohnungen und die Mieten dort haben sich dem Freiburger Durchschnitt genähert oder ihn sogar überstiegen.

In Freiburg-Dietenbach würde man vielleicht nicht diesen Fehler wiederholen, aber andere machen, und das Schlimme daran: in einem solch großen Maßstab eines komplett neuen Stadtteils für 15.000 Menschen wiegt jeder Fehler brutal schwer. Bei fast jedem Neubau geht etwas schief, aber wenn man meinen Thesen nicht folgen möchte und ganz auf Bauen verzichten, dann wäre das Mindeste, den Maßstab zu wahren und dadurch auch Fehler beherrschbar zu halten. Bleiben wir im Maßstab der gebauten Stadt und setzen alles daran, sie zu bewahren und besser zu machen. Uns helfen 50 Werkzeuge, die Neubau überflüssig machen, und 66 Raumwunder für lebendige Nachbarschaft und grüne Städte, es gibt also viel zu tun in unseren Wohnungen, Häusern und Städten, ohne Machbarkeitsphantasie und Größenwahn.

 

Termine 2019 zu Vorträgen in Freiburg am 31.01., Starnberg am 21.02., Oldenburg am 14.03. und Heilbronn am 27.03. auf der Webseite. Bleiben Sie dran mit klassischem Newsletter, RSS-Feed (beide rechte Seitenspalte) oder über Facebook.

Um die Dogmen und Mythen rund um den Neubau geht es in Verbietet das Bauen! Zusammengefasst wird es im Buch zur Willkommensstadt, als mancher den Zuzug vieler Flüchtlinge zum Anlass nehmen wollte, noch schneller noch mehr neu zu bauen.

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