Zu einem Drittel ist dies ein lesenswertes Buch. Niklas Maak wettert derart furios gegen das Eigenheim als übersteigertes Lebensziel, dass man mit Genuss seine Zeilen liest, selbst wenn manche bereits in seinen Feuilletontexten für die FAZ standen, etwa diese Beschreibung des ex-Bundespräsidenten Christian Wulff: „Das Foto vom Präsidenten vor dem überteuerten Eigenheim ist das Bild einer Katastrophe, die sich millionenfach wiederholt: Ein Mann steht vor einem Haus, das er sich nicht leisten kann; ein Mann verschuldet sich für einen Traum von der Idylle der ihn in den Abgrund reißt.“ Im Buch „Wohnkomplex“ wird der Traum vom Eigenheim gründlich als Alptraum entlarvt – der Wunsch nach „Wohnen im Grünen“, der bei fünfzig Quadratmeter Rasen endet, die mit Verschuldung über beide Ohren erkauft wurden, und das „ästhetische Massaker“, das viele Eigenheime in den Vorstädten anrichten. Niklas Maak beklagt die „Zombifizierung“ unserer Innenstädte durch trostlose Luxuswohnanlagen und Shopping Malls, skizziert die Geschichte des Wohnens und bleibt immer gut lesbar, von einigen Schlagwörtern abgesehen („Parametrismus“, „Panoptismus“). Einen Kern des Problems beim heutigen Bauen und Wohnen bringt Maak treffend auf den Punkt, wenn er von den klassischen Familien schreibt als „Lebensentwürfe, die es nicht mehr gibt“, während die Zahl von Single-Haushalten und älteren Alleinlebenden steigt. Aber was ist nun die Lösung dafür; wie sehen die „neuen Kollektive“ aus, von denen Maak schreibt?
Ein Drittel befremdlich
Hier gelangen wir zum befremdlichen Drittel des Eindrucks, den dieses Buch hinterlässt. Das große Vorbild für die „Zukunft des Wohnens“ und die Antwort auf die so wortstark geschilderten Probleme der Eigenheimisierung sieht Niklas Maak in der Architektur neuer japanischer Kollektivhäuser. Am prominentesten unter den zahlreichen von ihm vorgestellten japanischen Architekturen stellt er das „Moriyama Haus“ vor: eine „Miniaturstadt aus zehn jeweils ein- bis dreigeschossigen Wohnkuben, die eher an frei stehende Zimmer erinnern.“ Diese Boxen sind locker versetzt aufeinander gestapelt und durch Treppen verbunden. Die privaten Raumboxen schaffen hier und in anderen der präsentierten japanischen Bauten halbprivate Zwischenräume mit Gärten. Kollektiv nutzen die Bewohner große Gemeinschaftsküchen und Dachterrassen. Außer dieser besonderen Fügung von Privat und Öffentlich rühmt Maak die niedrigen Baukosten; auf den letzten Buchseiten beschreibt er anhand eines anderen Projekts die Idee vom „Haus, das zum Möbel wird“, so dass eine „Wohnlandschaft“ aus preisgünstigen Zellen entstehe.
Das war es? So also soll die Zukunft des Wohnens aussehen? Verwunderlich an dieser These ist schon, dass viele Reize dieser japanischen Architektur nicht auf unser mitteleuropäisches Klima übertragbar sind: das von Maak beschworene Frühstück auf dem sonnigen Dach lässt sich in der frischen Berliner Luft nur gelegentlich genießen, und der offene Übergang von Erdgeschossen zu Gärten dürfte hierzulande meist wegen Wind, Regen und Kälte geschlossen werden. Noch merkwürdiger aber erscheint, dass fast alle Beispiele für gemeinschaftliches Wohnen, die Niklas Maak bringt, aus Japan stammen. Als europäische „Kollektivhäuser“ nennt er ausnahmsweise das R50 in Berlin Kreuzberg, das Baugruppen aus 19 Parteien errichteten und das im Souterrain eine großzügige Fläche zum Treffen und Feiern bietet sowie eine Dachterrasse. Ein zweites Beispiel, das Berliner „BIGyard“, enthält als Gemeinschaftsfläche insbesondere einen großen Garten zwischen zwei Reihenhaus-ähnlichen Wohnzeilen. So ansehnlich diese beiden Bauwerke sein mögen: Europa hat beim kollektiven Wohnen erheblich mehr zu bieten! Es ist völlig unverständlich, dass Niklas Maak nicht mehr Beispiele nachbarschaftlicher Projekte aus Deutschland zeigt, etwa die stark von den Bewohnern geprägten Berliner Bauten, die im Buch selfmade city beschrieben werden. Unerklärlich ist das Fehlen der neuen Schweizer Genossenschaftsbauten in Maaks Buch, etwa der Kalkbreite Zürich. Dort bauen sich mehrere hundert Bewohner große Wohnensembles mit guter Architektur und mit verschiedenen Varianten privater und öffentlicher Räume, von Wohngemeinschaften bis zu eng benachbarten Kleinwohnungen. Gemeinschaftlich genutzt werden dort Küchen und Terrassen, aber auch Waschmaschinenräume und Gästezimmer. Von diesen Schweizer Kollektivhäusern können wir mindestens soviel lernen wie aus Japan.
Ein Drittel ärgerlich
Während die Scheuklappen gegen die nicht-japanischen Neubau-Kollektivhäuser verwunderlich sind, ist dieses Buch zu einem Drittel ärgerlich, weil es das Wohnen in Altbauten fast völlig ignoriert. Die WG als kollektive Wohnform schlechthin behandelt Maak kurz mit schillernder Nostalgie, er lässt vor unseren Augen Abwaschberge mit Schimmel entstehen und schreibt von „repressiver sozialer Kontrolle“. Dass sich heute fernab von Kollektivismus zahlreiche neue Wohngemeinschaften gründen, Senioren-WGs und Mehrgenerationenhäuser, taucht nicht mit einer Silbe auf. Das Wohnprojekte-Portal der Stiftung trias zählt über 1.000 Wohnprojekte – kein Thema für Maak.
Nun mag man einwenden, es handele sich eben um ein Buch über neue japanische Architektur, da spiele Altbau keine Rolle. Wer aber derart grundsätzlich unsere bisherigen Wohnformen kritisiert, vor allem das Eigenheim, und programmatisch fragt, ob „eine andere Art von kollektivem Wohnen möglich“ ist, der sollte bei der Antwort nicht lediglich einen Architekturessay zu Neubauten bringen, sondern den Blick auf die am stärksten verbreiteten kollektiven Wohnformen werfen, und sind nunmal all seine Spielarten in bereits bestehenden Bauten. Angesichts des dramatischen Wandels unserer Familiengrößen, die auch Niklas Maak beschreibt, ergibt sich durch die Zahlen, dass gemeinschaftliches Wohnen vor allem in Altbauten gelingen muss: Zwar werden in Deutschland derzeit jährlich bis zu 250.000 Wohnungen neu gebaut, aber es gibt bereits 41 Millionen Wohnungen. Daraus folgt: Egal wie effizient neue Wohnhäuser im japanischen Stil wären, wir müssen das Zusammenwohnen in Altbauten fördern. Dafür muss man umbauen, an- und ausbauen. Mehr als merkwürdig ist es darum, dass Maak den Architekten Muck Petzet nicht nennt, der den deutschen Beitrag zur Architektur-Biennale unter das Motto „reduce, reuse, recycle“ stellte. Auch der Umbau ist ein Thema der Architektur und sollte darum in einem Text von solch feuilletonistischer Grundsätzlichkeit mehr als nur in Randbemerkungen auftauchen. Wir brauchen keine „anderen Häuser“, wie es im Untertitel des „Wohnkomplex“-Buches heißt, wir brauchen anderes Wohnen in vorhandenen Häusern.
Weitere Wohnbuch-Besprechungen:
Christopher Dell Ware: Wohnen!
Brigitte Schultz: Was heißt hier Stadt?
Kristien Ring (Hrsg.): Selfmade City
Niklas Maak: Wohnkomplex. Hanser Verlag. München 2014. 320 Seiten, 21,90€. ISBN 978-3-446-24352-1.
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War gestern auf einer Buchvorstellung mit Hr. Maak und kann der Rezension nur zustimmen. Im übertragenen Sinne hattte ich hinterher den Eindruck als hätte er mir als Alternative zu einer zugegeben kritikwürdigen Fastfood-Ernährung den Umstieg auf Sushi empfohlen …
Damit sind die wirklichen Fragen nach dem Wohnen der Zukunft nicht nur unbeantwortet sondern hinter allzu plakativer Kritik an zeitgenössischen Auswüchsen sogar verkleistert.